Erfahrbare Interdisziplinarität im FK

Rückbindung an Welt_die aktuelle Ausstellung im Frankfurter Kunstverein.

Selbst als Frankfurter*in überraschen einen die Blickwinkel und Perspektiven in der „Neuen Altstadt“. An einem Samstag in den hessischen Schulferien ist es menschenvoll. Mein Ziel ist der Frankfurter Kunstverein. Früher neben dem technischen Rathaus und jahrzehntelangen Baustellen ein eher ungeliebtes architektonisches Relikt aus den sechziger Jahren, nimmt sich das Gebäude in der neuen Nachbarschaft modern und gleichzeitig zeitlos aus. Ein kontemporäres Zeichen setzt auch die Skulptur „Die Große Illusion“ des in Frankfurt ansässigen Künstlerduos Wolfgang Winter und Berthold Hörbelt.

Bewusst barrierefrei gestaltet ist die Eingangssituation, die von zwei Seiten her durch die raumhohen Glasschiebetüren vielfältige Ein- und Ausblicke und damit den Dialog ermöglicht. Dennoch: Kaum einer der zahlreichen Flaneure verirrt sich hier hinein. Ist man drinnen, umfängt einen wohltuende Ruhe, beinahe meditative Stille. Der Bär tobt nur nebenan im Café.

Die Ausstellung ist eher spärlich besucht, mehr als sechs Besucher*innen zähle ich während meines Aufenthaltes nicht. Das tut zwar meiner eigenen Rezeption der Ausstellung gut, ist aber angesichts der hohen Qualität der Ausstellung sehr schade.

Rückbindung an Welt: warum nicht an „die Welt“? ist die spontane Frage, die mir in den Sinn kommt. Welt ist hier scheinbar eher als Begriff, denn als konkreter Ort gedacht, vielleicht auch als ein neu zu erschaffendes Universum, eine von vielen möglichen Welten. „Welt“ als das große Ganze, was hier mittels ästhetischer Zugänge und naturwissenschaftlicher Versuchsanordnungen erfahrbar gemacht wird. Warum im Untertitel über das Poetische in Elementen und Materialien der Begriff „poetisch“ anstatt „ästhetisch“ gewählt wird, erkläre ich mir mit der größeren begrifflichen Distanz zur bildenden Kunst, die dieser Begriff evoziert. Unwillkürlich denke ich an Goethe als Poeten mit der Neigung zur Naturwissenschaft, der laut Julia Voss* eher als Naturwissenschaftler, denn als Dichter der Nachwelt bekannt sein wollte.

Das poetische Moment zeigt sich für mich am deutlichsten in den Arbeiten von Hicham Berrada, einem 1986 in Marokko geborenen Franzosen, der heute in Paris lebt. Er erschafft mithilfe von chemischen und physikalischen Prozessen Bilder-Welten, die sich beständig verändern und eine malerische und skulpturale Ästhetik transportieren, die zeitgeistig wirkt ohne anbiedernd zu sein. Durch die bewegten Bilder, wie z.B. „les Fleurs“, das auf einer gebogenen Leinwand projiziert wird und dessen räumlicher Eindruck sich dadurch verstärkt, wird sowohl ein Element der Flüchtigkeit als auch der Ewigkeit deutlich. Ein zarter und zutiefst ergreifender poetischer Moment. „Werd ich zum Augenblicke sagen, verweile doch Du bist so schön …“

Hier im ersten Stock des Kunstvereins möchte ich gerne Schüler*innen sehen, die mit Lehrkräften aus Kunst und den Naturwissenschaften in diese Welt eintauchen und daraus sowohl naturwissenschaftliche Erkenntnisse, als auch eine Erweiterung ästhetischer Sichtweisen mitnehmen. Hier wird Interdisziplinarität – die als Stichwort im Zusammenhang mit kultureller Bildung an Schulen oftmals von Interesse ist – in ihrer gelungensten Form erfahrbar. Leider ist der Frankfurter Kunstverein kein städtisches Museum (in Frankfurt sind die städtischen Museen seit Januar 2017 für Menschen unter 18 Jahren kostenlos), so dass der Eintritt sicherlich eine Barriere darstellt.

Video über eine Ausstellung von Hicham Berrada in in der Abbaye de Maubuisson in der Nähe von Paris:

Und ein Beitrag über die Ausstellung im Kunstverein von HR2 Kultur:

https://www.hr2.de/kulturscout/kunst-mit-kuechle-atelierbesuche/hr2-kultur–kunst-mit-kuechle-presage-von-hicham-berrada,video-79022.html

*Julia Voss, Die Steiner Maschine. Wie der Versuch, die Naturwissenschaft zu reformieren, zu einer neuen Geisteswissenschaft führte, in: Rudolf Steiner und die Kunst der Gegenwart, Dumont, 2011, S. 40.

Beitragsbild: Presseseiten des FK

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