Es sind nicht immer die Lauten stark

Für D.

Manchmal kommen von irgendwoher Worte und Sätze in meinen Kopf, von Künstlern, die meine Gedanken geprägt haben und öfter mal sind es die Worte von Konstantin Wecker, der in meiner Jugend so viele Gemütszustände, die mich bewegt haben, auf den Punkt gebracht hat.

Unvergessen mein erstes Konzert in der Alten Oper 1980. Ich sitze mit drei Freundinnen in der ersten Reihe, wahrscheinlich war es mein erstes Konzert überhaupt, totale emotionale Ergriffenheit als ER die Bühne betritt. Unvergessen auch die Nächte, in denen ich nach einer Party, auf der ich mich gelangweilt hatte, um 4 Uhr morgens gemeinsam mit meiner Freundin vor dem Plattenspieler saß (ja, das gab es damals noch!) und wir im Dunkeln Konstantin Wecker hörten „Genug ist nicht genug“.

Beim einem meiner vielen Monologe im Kopf, die ich seit Beginn meines Blogs mit mir führe, habe ich mich an diese Worte erinnert.

Es sind nicht immer die Lauten stark
nur weil sie lautstark sind …

Eine Unterrichtsstunde in der ersten Klasse. Es sind immer dieselben, deren Finger in die Luft gehen, wenn die Lehrerin eine Frage stellt. Meistens sind es die, die auch wirklich eine Menge zu sagen haben, sich nicht scheuen, das auch zu tun und auch ansonsten zu den eher Selbstbewussten in der Klasse gehören.

Aber es gibt auch die anderen, die Stillen, die Schüchternen, denen man oft ansieht, dass sie auch gerne etwas sagen möchten (und die oft besonders viel zu sagen haben, weil sie besonders genau hinschauen), aber die anderen sind immer schneller. Oftmals manifestiert sich das, was jetzt angelegt wird, für das ganze spätere Leben, denn nur wer sich traut, mit seiner eigenen Meinung nach außen zu gehen, kann Erfahrungen machen, dass seine Meinung auch gehört wird. Nur durch Fehler kann man lernen, das sagt sich so leicht, aber gerade unsere bestehendes Schulsystem macht das Fehlermachen durch seine ständige Bewertung und damit Klassifizierung so schwer. Wir kennen das Problem auch gerade in den Fächern, die sich von Bewertung abkoppeln sollten, da sie noch mehr als die klassischen Schulfächer darauf abzielen, dass Kinder aus sich herausgehen und ihr Inneres preisgeben, in den künstlerischen Fächern.

Lehrer*innen fragen sich, was sie bewerten sollen, das Endprodukt oder den Prozess, den Lernfortschritt, und oft ist ihnen bei der Bewertung in den künstlerischen Fächern besonders unwohl.

Und da sind dann auch immer die anderen Kinder, die eine Bewertung des Ergebnisses fordern, weil das die Richtung ist, in die unser System die nächste Generation erzieht.

Meine Kommilitonin Beate versucht, genau hier anzusetzen, um den Stillen, den Leisen, denen, die sonst nicht gehört werden ein Forum zu bereiten.  In ihrem Praxisprojekt „Voices of Hölderlin“ bietet sie Kindern einmal in der Woche die Gelegenheit, in einer Lesung über den Schullautsprecher ihre Stimme zu erheben, so dass die ganze Schule es hören kann.

Ein tolles Projekt bei dem ich sehr gespannt bin, wie es sich entwickelt und welche Auswirkungen es für die Kinder hat, die daran teilnehmen. Beobachtet und unterstützt werden die Kinder dabei von den jeweiligen Klassenlehrer*innen, die auch darauf achten, dass diesmal wirklich die Stillen zu Wort kommen.

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5 Gedanken zu “Es sind nicht immer die Lauten stark

  1. Ich glaube ich werde sogar im Portefolio auf dieses Thema eingehen, denn auch erwachsenen Studierenden geht es so wie manchem Schüler. Danke Andrea für die Werbung!

  2. Mich beschäftigt das auch: was passiert mit einer Gesellschaft, in der immer nur die Schnellen und Lauten gehört werden? Ein schönes Plädoyer – auch für mehr Zeit und Muße. Ich habe am Samstag einen guten Artikel gelesen, der Dich interessieren könnte. Schicke ich per Mail.

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