Umbrüche. Jetzt aber anders.

19.30 Uhr, Kammerspiele im Schauspiel Frankfurt. Einführungsvortrag von Martina Droste, die zusammen mit Aleksandra Scibor für das neueste inklusive Stück des Jungen Schauspiels Jetzt aber anders verantwortlich zeichnet.

20.00 Uhr, das ausverkaufte Stück beginnt mit einem Lied von Rosenstolz das Benny – 22 Jahre und der älteste der Schauspieler*innen – vorträgt. Das könnte peinlich sein, aber sein Vortrag berührt durch Authentizität. Benny trägt einen dunkelblauen Anzug und wirkt seltsam alterslos, was an seinen zarten Gesichtszügen liegen mag. Benny leidet an einer seltenen Chromosomenkrankheit, die außer ihm nur 19 oder 20 Menschen auf der Welt haben. Das erfahren wir nach dem Stück, im Gespräch mit den Schauspieler*innen.

Jetzt. Sind wir wirklich und zwar WIRKLICH anwesend, hier im Augenblick oder sind wir immerzu mit der Vergangenheit oder der Zukunft beschäftigt? Ein Fazit der gemeinsamen Arbeit an dem Stück war es für die Jugendlichen, dass die Vergangenheit be- und verarbeitet werden muss, um frei sein zu können für das Da-Sein im Moment und für eine selbstgestaltete Zukunft. Eindrücklich ist es, wie inklusive Gemeinschaft von den zwölf Jugendlichen auf der Bühne vorgelebt wird. Gemeinsam spielen Geflüchtete, Jugendliche mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen und „normale“ Jugendliche. Körper- und Sprachbarrieren existieren, werden aber nicht mit Bedeutung oder Problembewusstsein aufgeladen, sondern einfach durch Hilfsbereitschaft und Einfühlungsvermögen gelöst. Hier ist es zu sehen und zu spüren, wie wir alle von einer Gemeinschaft in Vielheit profitieren können.

Aber. Umbrüche, das zentrale Thema der aktuellen Schauspielsaison 2018/2019 greifen die Jugendlichen auf, in dem sie von Umbrüchen in ihrem eigenen Leben erzählen. Da ist alles dabei: Trennung der Eltern, Flucht, Ausgegrenztheit, die „Mitleidsnummer“, etc. Dramaturgisch ist das geschickt gemacht, zum einen erzählt jeweils ein*e Jugendlicher über eine*n Anderen, zum anderen gibt es immer eine charakteristische Körperbewegung, die vom Ensemble aufgegriffen und choreografisch umgesetzt wird. Diese gesetzte Struktur gibt Sicherheit für die Schauspieler*innen, die sehr Persönliches von sich und aus ihrem Leben preisgeben. Unwillkürlich denkt man an eigene Umbrüche im Leben. Jede*r erlebt Situationen, die uns vor Herausforderungen stellen und wo wir uns entscheiden müssen, ob wir uns als Opfer der Verhältnisse begreifen oder als Gestalter*innen unseres Lebens.

Anders. Martina Droste und Aleksandra Scibor haben zusammen mit den Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 22 Jahren in zehn intensiven Probenwochen recherchiert, geschrieben, verdichtet, geprobt und schließlich aufgeführt. Wir als Zuschauer*innen sehen ein Stück, das bei aller Spontanität präzise durchchoreografiert ist, eine Voraussetzung für die Jugendlichen, um sich öffnen zu können und sich dabei dennoch gehalten zu fühlen. Eine Gratwanderung, die in der Umsetzung meiner Meinung nach gelungen ist. Die körperliche Präsenz der Jugendlichen auf der Bühne macht die Themen unmittelbar erkennbar und berührt mich als Zuschauerin. Wieder einmal denke ich, dass die wichtigen Gefühle altersunabhängig sind.

Nach der mit großem Applaus honorierten Vorstellung gibt es noch ein Nachgespräch mit den Regisseurinnen und den Jugendlichen, wo wir als Zuschauer*innen Fragen stellen dürfen.

Weitere Vorstellungen im Februar. Unbedingt anschauen!

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