Campus Klarenthal Wiesbaden

Folgendes sollte man vorab über den Campus Klarenthal wissen: Träger der 2008 eröffneten Privatschule ist die Campus Klarenthal Gesellschaft, deren Hauptgesellschafter der Evangelische Verein für Innere Mission (EVIM) ist. Campus Klarenthal ist also eine Privatschule in kirchlicher Trägerschaft von der EVIM, die auch weitere Schulen, Bildungseinrichtungen und Altersheime betreibt.

Der Campus Klarenthal (im folgenden CK) wurde von Enja Riegel mitbegründet, die nach ihrer Zeit als Rektorin an der Helene-Lange Schule (HELA) in Wiesbaden und Autorin von dem vielbeachteten Buch Schule kann gelingen (indem sie beschreibt, wie sie reformpädagogische Ansätze an der HLS einführt und erfolgreich durchsetzt), ihre gemachten Erfahrungen in die Gründung einer eigenen Schule eingebracht hat.

Der Webauftritt von CK ist sehr professionell:

http://www.campus-klarenthal.com

Und: Eltern, die sich für diese Schule entscheiden, müssen finanziell sehr gut gestellt sein. Mit dem Schulgeld geht es –je nach Betreuungswunsch– bei 660.- EUR Monatsbeitrag los.

Unsere Anfrage bezüglich einer Hospitation wurde offen und sehr positiv beantwortet. Hospitationen gehören im CK offenbar zum Alltag. Nach unser Ankunft bespricht der Rektor mit uns unseren möglichen Einsatzort, mich zieht es in die höheren Klassen und dort am Vormittag ins Theaterprojekt der 9. Klasse, am Nachmittag in den Deutschleistungskurs in der 11. Klasse.

Und so beginnt der Tag im Campus Klarenthal:

Schuhe aus!

Eingangsbereich im Oberstufengebäude und Zugang zum Kubus

Dieses Bild ist allerdings am Nachmittag entstanden, am Vormittag (und da waren es noch viel mehr Schuhe) war ich über diese Tatsache so perplex, dass mir für das Fotografieren keine Zeit blieb, denn wir mussten schnell zum Momo (s. unten). Ich bin immernoch nicht sicher, wie ich diese Maßnahme einschätzen soll, ich fand es irgendwie eine „coole“ Idee, gleichzeitig auch sehr chaotisch und unpraktisch. Auf jeden Fall war es aufmerksamkeitsstark, aber nicht alles, was plakativ ist, ist auch gut.

Momentaufnahme im Momo

Eine weitere Besonderheit im CK ist das Momo (an jedem Montagmorgen) zu dem sich die ganze Schule in der Aula versammelt und immer eine Klasse diese Montags-Präsentation vorbereitet. an diesem Montagmorgen ist es eine „ironische“ Präsentation von Klischees über den CK. Jedes Momo dauert ca. eine halbe Stunde und soll das Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühl in der Schülerschaft stärken.  Im Momo wird erst eine Präsentation vorgeführt, dann gibt es die sogenannten Belobigungen, bei denen einzelne Schüler*innen gelobt werden und dann organisatorische Ansagen, die die ganze Schulgemeinschaft betreffen.

Die Präsentation ist nicht uninteressant, wird aber auch nicht wirklich inspiriert bis zum Ende durchgehalten, ein Thema, was sich in meiner Beobachtung durch das Programm der Schule zieht: Gute Ansätze, die aber nur teilweise adäquat und erfolgreich umgesetzt werden.

Zentrum der Schule: Die goldene tür zum Kubus

Exkurs: Wer kennt das Buch von Lionel Shriver Wir müssen über Kevin reden? Super Buch, kann ich jedem nur empfehlen. Allerdings nichts für Mütter mit halbwüchsigen Söhnen und schwachen Nerven. Eine Geschichte von enttäuschter und desillusionierter Mutterliebe, gnadenlos und pointiert beschrieben.
Es gibt auch eine tolle Verfilmung mit Tilda Swinton aber das Buch ist noch viel besser!

Jedenfalls hat mich dieser Kubus, der das Zentrum der Schule bildet –mit einem Balkon, der von oben zugänglich ist– absolut an die Turnhalle im Buch erinnert.

Weiter im Hospitations-Tag:

Ich nehme teil an dem Vormittagsblock, einem Projekt der 9. Klassen zum selbstorganisierten Lernen, das in Form eines 3-wöchigen Theaterprojektes eingeübt wird.

Allgemein meint der Begriff des selbstbestimmten Lernens, dass lernende Kinder oder Erwachsene über die Ziele und Inhalte, über die Formen und Wege, Ergebnisse und Zeiten sowie die Orte ihres Lernens selbst entscheiden.

Wenn Lernende bei vorgegebenen Inhalten und Zielen ihr eigenes Lernen selbst steuern und Entscheidungen über die Art und Weise ihrer Lernorganisation fällen, so spricht man besser vom selbstorganisierten Lernen als vom „selbstbestimmten Lernen“. Wikipedia

Konkret bedeutet das, dass die Schüler*innen in selbstorganisierten Gruppen z.B. an ihrem Stück schreiben, das Bühnenbild vorbereiten, das dazugehörige Event im Kubus planen etc. Das Theaterprojekt betreut ein Fachlehrer im darstellenden Spiel von der Schule am Geisberg (ebenfalls EVIM Schule), die hierfür mit dem CK kooperiert und der Deutschlehrer im Deutschleistungskurs.

Die Schüler*innen haben viel Freiheit sich einzubringen, aber auch sich zurückzuziehen, da sie im ganzen Gebäude verteilt sind und die Lehrer nur ab und zu vorbeischauen. Das nutzt auch mal ein Schüler, um ein Nickerchen zu machen. Im Theater- und Technikraum ist dagegen konzentriertes Arbeiten zu beobachten. Drei Schüler proben ihr Stück, das sie auch während der Proben fortwährend weiterentwickeln. Idee, Text, Stückaufbau, alles soll von den Schülern selbst kommen. Ich sehe eine Szene, in der sich drei ehemalige CK Schüler wiedertreffen und sich davon berichten, was aus ihnen geworden ist.

Parallel erarbeitet die Technikcrew am Computer ausgefeilte Pläne für die Bühnentechnik des Stückes.

Ich schaue noch bei der Architektur-Gruppe vorbei, die sich mit der Planung und dem Modellbau des Bühnenbildes beschäftigt. Wie in allen Gruppen sind einige Schüler*innen sehr aktiv und eifrig bei der Sache, während andere diese Zeit eher für private Gespäche zu nutzen scheinen.

In der Musikgruppe die aus zwei Jungen und einem Mädchen besteht, werden Lieder für das Theaterstück komponiert. Klaviermusik dringt durch den ganzen Neubau und schafft eine künstlerische Atmosphäre, wie das nur Töne eines Klaviers können …

Wann ist denn nun der Vormittag zuende?

Einen Gong gibt es nicht, die Schüler*innen schauen auf ein Licht an der Wand, was blinkend das Unterrichtende anzeigt.

Mittagspause.

Da der CK eine Ganztagsschule ist, gibt es natürlich auch eine Mensa. Die Webseite hat hier vorab hohe Erwartungen bei mir geweckt. Ernährung ist auf jeden Fall mein Thema, zum einen, wegen meiner eigenen, vielfältigen Unverträglichkeiten, wegen derer ich sehr gut nachempfinden kann, wie es Schüler*innen geht, die mit Nahrungsmittelallergien zu kämpfen haben. Zum anderen, da sich mein Praxisprojekt „Komm kochen“ mit gesunder Ernährung und der Befähigung von Kindern, sich gesundes Essen selbst zuzubereiten, zusammenhängt.

Es gibt vom CK sogar eine Broschüre über das Essensangebot, da das Thema den Eltern offenbar auch sehr am Herzen liegt. Auf der Webseite wird die Wichtigkeit von Ernährung betont, CK leistet sich eine eigene Köchin. Entsprechend hoch waren meine Erwartungen.

Dann betrete ich die Mensa und das Angebot ist, offen gesagt, eine herbe Enttäuschung. So sieht die Essensrealität aus: Nudeln mit Tomatensoße und Parmesan, ein liebloser Salat, nicht das gezeigte, üppige Salatbüffet, ein süßer, wenig inspirierter Nachtisch. Keine Auswahl, kein „Essen, das Leib und Seele zusammen hält“. Ich erlebe wieder einmal, dass das Bekenntnis zu gesunder Ernährung nur ein Lippenbekenntnis ist, was in der Praxis nicht oder nur unzureichend umgesetzt wird. Für eine Schule mit diesem Anspruch und diesen Kosten meiner Meinung nach unbefriedigend.

Sehr schön ist für die Mittagspause das weiträumige und große Außengelände, welches die Möglichkeit zu zahlreichen körperlichen Aktivitäten bietet, in dem man sich aber auch ein ungestörtes Plätzchen suchen kann. Hier findet man eine gesunde Lernumgebung vor, die freie körperliche Entfaltung ermöglicht.

Nachmittag.

CK ist eine integrierte Gesamtschule mit einem rhythmisierten Ganztagskonzept und mit einer separaten gymnasialen Oberstufe. Hier wird versucht, die Anforderungen einer gymnasialen Oberstufe mit dem Konzept des CK zu verbinden, um den Schüler*innen bis zum Abitur einen kontinuierlichen, ganzheitlichen Bildungsweg zu ermöglichen.

Die Grundideen für die Gestaltung der Oberstufe am Campus Klarenthal nutzen das Spannungsfeld zwischen den Mindestanforderungen der Oberstufen- und Abiturverordnung1 hinsichtlich Stundentafel, Belegverpflichtung, Leistungsnachweisen und Prüfungsanfor­derungen wie deren Freiräumen insbesondere hinsichtlich der Unterrichtsorganisation und der Ermutigung zu fächerverbindendem Lernen2, die Kompetenzorientierung der Bildungs­standards (bzw. einheitlichen Prüfungsanforderungen) der Kultusministerkonferenz und den konzeptionellen Grundsätzen wie Lernerfahrungen der Sekundarstufe I des Campus Klarenthal.
http://www.campus-klarenthal.com/gymnasiale-oberstufe/konzeptionelle-grundlagen/

Mir bietet sich noch die Gelegenheit, eine Doppelstunde im Deutsch-LK der 11. Klasse zu besuchen.

Impressionen aus dem Deutsch-LK

Ich erlebe eine Klasse, bei der von selbstgesteuertem und kompetenzorientierten Lernen nicht viel zu bemerken ist: Papierflieger fliegen, die Stimmung ist unkonzentriert und abgelenkt, ok, es ist Nachmittag aber im Deutsch-LK erwarte ich doch Schüler*innen, die sich für ihr Fach begeistern können.

Auch die Räumlichkeiten wirken nicht so, als ob ihnen Respekt entgegengebracht würde, es herrscht ziemliches Chaos, was man wohlwollend mit einer lockeren Arbeitsatmosphäre beschreiben könnte, allein, ich sehe nur sehr wenige, die hier arbeiten wollen. Das Thema ist interessant, es gilt, eine Rezension über ein Buch von Daniel Kehlmann in vier verschiedenen Tageszeitungen zu vergleichen. Es werden Gruppen gebildet, die die Artikel lesen und danach vor der Gruppe zusammenfassen sollen. Auch die Lehrerin wirkt von ihren Schüler*innen angenervt und enttäuscht. Unmotivierte Kommentare, sprachliche Unsicherheiten, der Eindruck, der sich mir aufdrängt: Bekommen hier die Kids reicher Eltern das Abitur gekauft?

Die Stunde lässt mich zweifelnd zurück, vielleicht nur eine Momentaufnahme, doch ist meine Erwartung an eine Schule mit einem so ambitionierten Schulprofil hoch und umso größer ist das Gap zwischen dem formulierten Anspruch und der erlebten Wirklichkeit. Das was Eltern hier erhoffen, nämlich eine neue Form von Schule zu finden, die Kinder individuell fördert und zu ausgeprägten Persönlichkeiten heranbildet kann nach meinem Erleben nicht immer und überall eingelöst werden. Hier stellt sich die Frage nach der Qualitätssicherung, die ich aber nicht mehr mit dem Schulleiter persönlich ansprechen kann.

Beim Verlassen des Schulgeländes mit vielen Eindrücken und ebenso vielen offenen Fragen fällt mein Blick auf dieses Werbegefährt des Campus Klarenthal. Jetzt anmelden? Mein Fazit wäre: Auf jeden Fall ein eigenes Bild machen. Immerhin ist die Schulleitung hierfür offen!

Und: Am 25. November 2017 gibt es beim Tag der offenen Tür von 14.00-17.00 Uhr wieder eine Gelegenheit den Campus Klarenthal zu besuchen.

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