Jetzt im Kino „Zwischen den Stühlen“

Mein Kino-Tipp: unbedingt ansehen!

Drei Gründe: kurzweilig, authentisch, mutig!

Ich schaue mir in den letzten Jahren ja am liebsten Dokumentationen im Kino und im Fernsehen an, mit Spielfilmen habe ich es nicht mehr so. Irgendwie interessieren mich die ausgedachten Welten nicht lange genug und mit französischen Komödien kann man mich jagen. Da schauen sich doch Menschen im Ernst einen Film über eine Frau an, die über Nacht ein männliches Geschlechtsteil bekommen hat und dieses einklemmt, als sie ihren Reißverschluß unbedacht und schnell schließt. Wie originell!

Nein, dann doch lieber in den Alltag von Referendaren*innen eintauchen. Das interessiert mich aus vielerlei Gründen ganz besonders: Zum einen wegen meines Studiengangs, der sich mit kultureller Bildung an Schulen beschäftigt und da sind schließlich all die fertig ausgebildeten Lehrer*innen Persönlichkeiten, auf deren Spuren sich dieser Film begibt. Und ganz persönlich bin ich ja in meinem Leben und im Leben meiner Kinder auf die unterschiedlichsten Lehrer*innen getroffen und habe ein recht genaues Bild davon, was einen guten Lehrer ausmacht.

Was kann mir der Film Neues erzählen? Er zeigt mir Abläufe, denen ich mir so vorher nicht bewußt war. Wie genau und auf Herz und Nieren Lehrer*innen geprüft werden, das hat mich schon beeindruckt. Und wie viele Aspekte der Lehrerberuf eigentlich abdeckt, von der Fachdidaktik (sehr wichtig!) über die persönliche Präsenz aber auch die Zugewandtheit und das große Herz, was jemand braucht, um wirklich zu den Kindern und Jugendlichen vorzudringen und vielleicht das kleine Flämmchen der Motivation zu zünden.

Anspruchsvoller Beruf!

An dieser Stelle mein ganz persönlicher Dank an meine Deutschlehrer*innen, sie waren allesamt großartig und haben meine Liebe zu diesem Fach über all die Jahre aufrecht erhalten.

Ergänzend zu meinen Beobachtungen noch die epd Filmkritik vom 21.4.2017
(Die Filmzeitschrift EPD Film kann ich Cineasten übrigens sehr empfehlen)

https://www.epd-film.de

Barbara Schweizerhof schreibt:

Die Erfahrungen mit Referendaren gehören zu den eigenartigen unter den Erinnerungen an die Schulzeit. Auch wenn man als Schüler wenig wusste über die spezielle Ausbildungssituation dieser Lehrerneulinge, so gab es doch eine kollektive Ahnung in der Klasse davon, dass Referendare weniger Autorität hatten, dass sie sich in einer zwiespältigen Lage befanden, in einer Art prekären Mitte in der üblichen Lehrer-Schüler-Front­stellung, weshalb nicht selten ihre Schwächen und Unsicherheiten sichtbar wurden. Mit »ZWISCHEN DEN STÜHLEN« benennt der Dokumentarfilmer Jakob Schmidt in seinem ersten Langfilmprojekt die »Zwischenlage« der Lehreranwärter schon im Titel, nämlich im Grunde beides, Lehrer und Schüler zu sein, und das auch noch gleichzeitig.

Für sein Projekt hat Schmidt fünf Studierende in Berlin in ihrer Referendariatszeit begleitet. Übrig geblieben sind im Film davon drei Protagonisten, Anna, Ralf und Katja, die überraschend unterschiedliche Temperamente haben. Anna wirkt warm und zugleich ein wenig schüchtern; Katja ist forsch und entschlossen; Ralf bewahrt auch in brenzligen Situation eine stoische Ruhe. Ob die drei guten Unterricht machen, kann man als Zuschauer von »ZWISCHEN DEN STÜHLEN« kaum entscheiden. Zu kurz und anek­dotisch sind die Ausschnitte, die Schmidt daraus präsentiert. Aber sein Film will dezidiert keine Castingshow sein, es geht ihm nicht um die »Performance« der Einzelnen, sondern um deren Situation. Und die ist keine sonnige, das macht Schmidt mit seinen Beobachtungen in fast bedrückender Weise deutlich.

So kurz die Szenen sind, in denen man die einzelnen Protagonisten an ihren Schulen sieht, in ihren Klassen, im Studienseminar und im Lehrerzimmer, so nachhaltig setzt sich daraus das Bild einer Ausbildung zusammen, die ihren Kandidaten sehr viel abverlangt und sie dann in vielem doch völlig alleine lässt. Was Fachdidaktik, also die Inhalte und Methoden der Lehre angeht, werden die Referendare nach strengen – und sehr eng erscheinenden – Kriterien beurteilt. Dafür, wie man vor einer Klasse steht, auftritt, Autorität verkörpert, sympathisch erschient, aber nicht schwach, gibt es wenig Anleitung und wenig Vorbilder. Allen drei Protagonisten merkt man die große Anspannung und Belastung der Referendariatszeit an. Auch weil ein Versagen bei der Prüfung große Konsequenzen hat – sie haben »auf Lehramt« studiert, bei einem möglichen Nichtbestehen müssen ganze Lebensper­spektiven aufgegeben werden.

Schmidt bewahrt bei alledem einen diskreten Abstand zu seinen Protagonisten. Für den Zuschauer heißt das leider, dass er nicht alles so ausführlich erfährt, wie es seine Neugier vielleicht wünscht. Tatsächlich weckt »ZWISCHEN DEN STÜHLEN« mehr Interesse, als der Film in seinem herkömmlichen »Protagonisten werden über einen längeren Zeitraum begleitet«-Format bedienen kann. Er bietet einen Einstieg in ein Thema, über das zu selten auch außerhalb der Schule nachgedacht und diskutiert wird: Was macht einen guten Lehrer aus? Wie kann man Lehren lernen? Und vor allem: Wie kann man die Freude daran auch in stressigen Situationen bewahren?

Trailer zum Film:

Im Orfeo Kino in Frankfurt, wo ich den Film gesehen habe, lief ein phantastischer Vorfilm:
ALIEnATION von Laura Lehmus, D 2014, 6 Minuten.
Hier der Trailer:

Eine tolle Idee zu den Stimmen von realen Schülerinterviews ALIENS zu zeichen, mal mit 7, mal mit fünf Fingern, mal groß mal klein und alle fühlen sich in der PUBERTÄT wie von einem anderen Stern. Schöner Einblick in Lebenswelten von Teenagern. Und was das Wichtigste an Jungs ist, das interessiert uns Mädels doch alle.

Auch eine tolle Dokumentation über das Lehrer*innen Sein oder Werden vom NDR:
Lehrer*innen im Vorbereitungsdienst.

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