Unlike food, respect costs nothing.
Why should it be short in supply?
Richard Sennett in „Respekt im Zeitalter der Ungleichheit“.
Dieses Buch, was im Rahmen unseres dritten Moduls Kooperation und Vernetzung von Agner Wörner als Literaturhinweis gegeben wurde, hat mich von Anfang an gepackt.
Es gibt einen ungebremsten Trend bei den Buchveröffentlichungen, Wirtschafts- und Sachthemen verstärkt sprachlich so aufzubereiten, dass sie einer breiteren Leserschaft zugänglich gemacht werden, ohne dabei an Tiefe zu verlieren. Das ist auch sinnvoll in dem Kontext, dass das Wissen über gesellschaftliche Prozesse einer breiten Bevölkerungsgruppe zugänglich gemacht werden muss, damit sich gesellschaftliche Verhältnisse auch auf der politischen Ebene widerspiegeln und verändern können (aktuelles Thema: Bundestagswahl!), heißt: wen das Thema betrifft, der muss es auch reflektieren und darlegen können, um für seine eigenen Rechte einzustehen.
Respekt im Zeitalter der Ungleichheit (allein der Buchtitel ist genial, in englisch respect in times of inequality, also ungewöhnlicherweise eine wortwörtliche Übersetzung, die auch noch passt!) ist für den Bereich der kulturellen Bildung essentiell relevant, geht es doch auch dort um Partizipation von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, die man unter dem Dach der kulturellen Bildung zu vereinen sucht. Es gilt auch hier: Wer das Geld hat hat die Macht und muss umso respektvoller damit umgehen wie er oder sie diese Macht nutzt.
Wie oft fiel in unseren Gesprächen im Studiengang die Forderung, kulturelle Bildung auf Augenhöhe zu betreiben (und wie sehr haben wir uns an dieser Formulierung abgearbeitet) und nicht in aus der Wirtschaft entlehnter Top-Down Mentalität Bildung mit dem Gießkannenprinzip auszugießen oder gar Menschen Dinge zu vermitteln, die sie gar nicht haben wollen.
Was kann der Begriff Respekt in der kulturellen Bildung und vor allem in der Vermittlung derselben bedeuten? Zunächst einmal ist eine respektvolle Begegnung eine der Gelingensbedingungen für eine erfolgreiche Vermittlung, unabhängig davon, welches Thema vermittelt werden will. Sennett greift in seinem Buch auf zwei persönliche Bezüge zurück, um zu verdeutlichen, wie er den Begriff mit Leben füllt: zum einen seine eigene Herkunft aus der Arbeitersiedlung Cambrini Green in Chicago, zum anderen seine frühe Begabung für Musik und sein Erreichen einer Virtuosität, die ihm dazu verhalf, vor allem Respekt vor sich selbst zu entwickeln. Exkurs: Agnes Wörner sprach in ihrem Vortrag „Netzwerken“ im Modul 3 unseres Studiengangs Kulturelle Bildung an Schulen auch die Frage an, warum manche Menschen nicht bereit sind, ihr Wissen mit anderen zu teilen. Die These: Wer Wissen nicht weitergeben will, hat mit mangelndem Selbstwertgefühl zu kämpfen.
Respekt für sich selbst zu entwickeln ist auch das Ziel, was wir verfolgen, wenn wir in der kulturellen Bildung gerade diejenigen zu erreichen versuchen, deren Herkunft und Elternhaus sie eben bisher nicht in den Genuss von künstlerischen Beteiligung gebracht hat. Es ist auch nicht nur das fehlende Geld, was Beteiligung verhindert, sondern oft auch der fehlende Zugang oder die fehlende Wertschätzung von künstlerischen Angeboten. Klar ist weiterhin, dass wir Zielgruppen aus den sogenannten bildungsfernen Schichten nur dann nachhaltig erreichen können, wenn wir ihrer Lebenswelt mit Respekt begegnen. Das ist schon von dem Aspekt her schwierig, dass wir die Lebenswelt eben nicht wirklich nachempfinden können.
Wer sich mit dem Thema intensiver auseinandersetzen möchte, dem empfehle ich sehr, Sennetts Buch zu lesen. Es ist flüssig und spannend geschrieben und Sennett bringt vieles auf den Punkt, was mich im Zusammenhang mit sozialer Ungleichheit persönlich beschäftigt hat. Und was in der Politik in den nächsten Jahren verstärkt auf die Agenda gehört (siehe der Ausgang der aktuellen Bundestagswahl).
Richard Sennett (* 1. Januar 1943 in Chicago, Illinois) ist ein US-amerikanischer Soziologe. Der Sohn russischer Einwanderer lehrt Soziologie und Geschichte an der New York University und der London School of Economics and Political Science. Seine Hauptforschungsgebiete sind Städte, Arbeit und Kultursoziologie. Sennett ist verheiratet mit der Stadtsoziologin Saskia Sassen.
Sennett wurde als Theoretiker und Historiker des städtischen Lebens bekannt. Seine Hauptthemen sind die Vereinzelung, Orientierungslosigkeit und Ohnmacht moderner Individuen, die Oberflächlichkeit und Instabilität zwischenmenschlicher Beziehungen sowie die Ausübung von Herrschaft. Vor allem in seinen Frühwerken bleibt er Chicago, der Stadt seiner Kindheit, und den in ihr gemachten Erfahrungen stark verhaftet. Die hohe Aktualität seiner Themen und sein eingängiger, essayistischer Stil ließen seine Bücher zu Bestsellern avancieren. Wikipedia
Interessantes Interview mit Sennett und seiner Frau, der Soziologin Saskia Sassen: