Zu Gast: Katharina Joy Book

Zu Gast bei Kultur bewegt: Ein Format der Vernetzung, das verschiedene Meinungen und Blickwinkel auf diesem Blog zusammenbringen möchte, um das Feld weiter aufzumachen. Ich bitte junge Kunst- und Kulturschaffende zu einem Thema, was uns in der kulturellen Bildung aktuell bewegt, ihre Sicht bzw. ihre eigenen Erfahrungen darzulegen.

Den Anfang macht Katharina Joy Book, die in den letzen drei Jahren in London am Central Saint Martins College of Art and Design Performance Design and Practice studierte und mit dem Bachelor abgeschlossen hat. Sie lebt aktuell schreibend in Berlin. Wir hatten eine lebhafte Diskussion zum Begriff der Kollaboration, angeregt von dem Buch Kollaboration von Mark Terkessidis. Hier kommt ihre Bestandsaufnahme zum Thema aus ihrem Studiengang und ihren persönlichen Erfahrungen.


Kollaboration: because the process of making can sometimes be the work itself¹
von Katharina Joy Book

Der Begriff Kollaboration ist derzeit fast so allgegenwärtig in der Kunst- und Kulturszene wie die Schlagwörter multidisziplinär oder multimedial   Kollaboration wird als charakteristisch für eine zeitgenössische Arbeitsweise in Theater, Kunst und Bildung verstanden.² Oft wird die Bezeichnung aber mit falscher Eitelkeit, voreiligem Eifer oder rein zur Imagepflege verwendet – dabei bedeutet Kollaboration mehr als nur ‘Zusammenarbeit’ oder ‘Teamwork’.³

Meine ersten Erfahrungen mit kollaborativem und kollektivem Arbeiten waren gleichzeitig meine ersten Erfahrungen mit dem künstlerischen Arbeiten überhaupt. Zur Zeit bin ich schwerpunktmäßig choreografisch und schreibend beschäftigt – ich befasse mich mit den Prozessen des Denkens und Verstehens von Text, genauso wie mit Unverständnis und der Wahrnehmung von Schwierigkeit – auf körperlicher Ebene. Die Erfahrung von Unmittelbarkeit in Performance, und in Lernvorgängen überhaupt, ist dabei zentral.

Next Choreography Festival 2017 , Siobhan Davies Dance, London. Photo: Gorm Ashurst.

WÄHREND PROBEN AM CENTRAL SAINT MARTINS (WIR VERSUCHTEN, WÄHREND EINER LIVE VIDEOÜBERTRAGUNG EIN WACKELFREIES BILD HERZUSTELLEN), 2017.

Dieses Jahr habe ich meinen Abschluss in Performance Design and Practice am Central Saint Martins College in London gemacht. In den Studiengang ging ich mit der Hoffnung und Erwartung, kollaborativ und experimentell zu arbeiten; ein Kernstück der Mission des Central Saint Martins ist die Ermöglichung und Förderung von Kollaborationen4, um der Tradition des Colleges, aber auch dem Zeitgeist gerecht zu werden. Beunruhigend für mich wurde im Laufe der Zeit die Oberflächlichkeit, mit der dieser Begriff angewendet wurde, wie oft er bloß in Verbindung mit connections to the industry vorkam; wie oft es nur darum ging, kommerzielle Projekte zu vermarkten.

Oft hatte ich das Gefühl, dass den Lehrenden die Fertigkeiten fehlten, Kollaborationen anzuleiten; größtenteils wurde ich von Bühnen- und Kostümbildner*innen unterrichtet, die in ihren Berufen selbst nicht viel kollaborativ zu arbeiten gewohnt waren. Bei einigen Projekten schien die Vorgehensweise tatsächlich nur daraus zu bestehen, eine Gruppe verschiedener Leute in einen Raum zu stecken, sinnbildlich die Tür abzuschließen, und was am Ende dabei herauskam, als Kollaboration zu bezeichnen. Ein solches Projekt war zum Beispiel Dance Lab (2016), bei welchem eine Gruppe Central Saint Martins Student*innen über einen Zeitraum von vier Wochen jede Woche mit einer neuen Gruppe Komponist*innen und Tänzer*innen von anderen Londoner Schulen zusammenarbeitete, und das Ergebnis dieser Zusammenarbeit am Freitag der jeweiligen Woche öffentlich präsentierte.

Dieses Projekt funktionierte gut als Stresstest – wir lernten, schnell Entscheidungen zu treffen und unsere Konzentration und Frustrationstoleranz hochzuhalten. Jede Woche aber kam in der Gruppe der Ehrgeiz auf, am jeweiligen Freitag eine ‘Produktion’ zu zeigen – mit Beleuchtungsdesign und allem. Um das zu erreichen, musste jede Woche (der gängigen Herangehensweise getreu) eine einzelne Person die leitende Funktion übernehmen und die Zielsetzung durchboxen.
Wenn man seine Kollaborationspartner*innen kaum kennt, und auch kein authentisches Interesse daran hat, sie kennen zu lernen, dann interessiert man sich auch weniger für deren Input. Eine 5-tägige Arbeit einer Gruppe sich gegenseitig Unbekannter am Ende so zu präsentieren, als wäre es ein fertiges Stück, und dazu eine ‘Kollaboration’ – das entwertete den Begriff, und entwertete die Wertmaßstäbe, die der kollaborativen Praxis innewohnen. Es mag kleinlich oder gar oberflächlich scheinen, es mit  Präsentationskontexten und Terminologie genau zu nehmen – aber Kontexte sind sinngebende Elemente einer performativen Arbeit, die sich notwendigerweise immer in realen, gelebten Situationen abspielt –  und ich finde es notwendig, mit seiner Herangehensweise und Zielsetzung transparent zu sein; gegenüber möglichen Zuschauer*innen genauso wie innerhalb der Gruppe. Die Skizzen, die wir an den Freitagen als Teil von Dance Lab zeigten, konnten sich nicht behaupten als Werk einer Gruppe – nicht als Werk mit geteilter Autorenschaft.

Central Saint Martins rüstet mit solchen Projekten Student*innen mit einer Arbeitsweise aus, die man als Workshoptourismus bezeichnen könnte – ständig ist man auf der Suche nach neuem Input (vor allem in einer Stadt wie London gibt es da natürlich ein echtes Überangebot), aber man geht von einem zum nächsten, ohne an irgendeinem Punkt zu sagen, dass man jetzt mehr Zeit in eine Sache investiert; selber produziert, und nutzt was man gelernt hat. Ich finde, man vernachlässigt hierbei schnell die Notwendigkeit, Dinge in Tat umzusetzen, statt nur eine möglichst große Bandbreite an Inhalten zu konsumieren.

Natürlich gab es viele glänzende Ausnahmen – selbständig organisiert (aber weniger von Tutor*innen unterstützt) entstand zum Beispiel das Tanztheaterstück ‘Haidar’ , eine kollaborative Arbeit von meinen Kommilitoninnen Jordan Chandler und Dorothy Graham, zusammen mit Choreografin Miranda Dahl.

Die Erfahrungen, die ich vor meiner Zeit in London im Theater und im Tanz gemacht habe, sind für mich Beispiele von gelungenen Kollaborationen – das sind diejenigen Erfahrungen, auf denen ich in der Zukunft aufbauen und für die ich weiter einstehen möchte. Kollaboration ist für mich in der Hinsicht ein großes Thema, als dass meine künstlerische Tätigkeit in Performance, mehr noch mein Denken allgemein, ohne die Zusammenarbeit mit anderen kaum auskommt. Durch den Austausch von Ideen mit anderen investiere ich meine Energie in Material, was von außen auf mich einwirkt – und durch meine Reaktion transformiere ich dieses und mache es mir zu eigen – das steht im Gegensatz dazu, mich als alleinigen Urheber eines Werkes zu verstehen.

 

In meiner Erfahrung  ist das Miteinander, das Zwischenmenschliche und das in-Kontakt-sein innerhalb einer Gruppe das sinngebende Element  einer kollaborativen Arbeit – für die Mitwirkenden und später für den Zuschauer. Wichtig für meinen Werdegang war, zu erkennen und auch direkt zu erleben, dass durch dieses Präsentsein für andere ein Ergebnis kollaborativer Arbeit mehr ist als nur die Summe seiner Teile –  mehr beinhaltet als nur Kompromisse eingegangen zu sein.

Als Teil eines Jugendensembles 2011-2013 in Frankfurt war ich an Eigenproduktionen wie Nackte Fische (2013) beteiligt. Georg Bachmann übernahm die Regie und Dramaturgie, in erster Linie eigentlich die pädagogische Leitung der Gruppe. Die Inhalte waren unsere, wir nutzten unsere Texte und kommunizierten unsere Anliegen. Darin waren wir als Teilnehmer alle auf derselben Ebene in der Hierarchie.

Ähnlich habe ich auch am Mousonturm mit Choreografin Wiebke Dröge gearbeitet – 2014/2015 war ich Teil des Klub_21 und habe unter Wiebke’s Leitung mit Gleichaltrigen experimentelle Tanz-/Bewegungsstücke erarbeitet. Hier war der kollaborative Prozess noch greifbarer, weil verkörpert: Die meisten Szenen entstanden aus Improvisationen; und die Improvisation basiert auf der Wahrnehmung des Anderen, und auf meiner Reaktionsfähigkeit gegenüber den Partner*innen.

Wiebke und auch Georg arbeiten mit frameworks – 2014 hieß ein Stück des Klub_21 sogar Nicht zu viel und doch zu wenig. Mimetic Frameworks; hierbei wird eine rein technische Aufgabe gegeben, oder rein technische Hürden in eine Szene eingebaut; und durch den Umgang der Akteur*innen mit den Steinen im Weg, oder der eigenen Interpretationen bestimmter Fragestellungen, entsteht der Inhalt der Szene oder Situation – Beziehungen werden sichtbar.

GOB SQUAD ARTS COLLECTIVE. PHOTO VIA

Als Regiehospitantin war ich 2016 bei Proben zu der Entwicklung von War and Peace dabei, ein Stück des Künstlerkollektivs Gob Squad. Auch Gob Squad entwickeln Stücke eigentlich ohne Textvorlage – War and Peace war in der Hinsicht ungewöhnlich, als dass sie sich viel an dem Text von Tolstoi orientiert haben (so weit, dass die persönlichen Ausgaben des Romans bei Aufführungen mit den Performer*innen auf die Bühne kommen). Die Performer*innen des Kollektivs arbeiten seit 15 Jahren zusammen, gleichermaßen in deutscher und in englischer Sprache. Über die Jahre haben sie natürlich einige Strategien für die Zusammenarbeit entwickelt. Bei jedem Projekt wird zum Beispiel über die sogenannten ‘Driver’ entschieden – diese zwei Performer*innen führen die Gruppe energetisch an, machen das Projekt zu ihrem Hauptanliegen und übernehmen damit mehr Entscheidungen. Grundsätzlich arbeitet Gob Squad so, dass jede*r Performer*in mit Ideen kommt und diese einfach ausprobiert werden – frei nach dem Prinzip, dass man erstmal ‘Ja’ sagt, bevor man ‘Nein’ sagt.

Hier wird ein wichtiges Konzept der Kollaboration deutlich – Vorschläge müssen in Handlungen, in Aktion umgesetzt werden; die meisten Dinge zeigen erst in der Ausführung ihr vorhandenes oder fehlendes Potenzial, ihren gruppenspezifischen Rhythmus und ihre potenzielle Aussagekraft. Als Vorschlagende*r sollte man immer mit greifbarem Material kommen – sei es eine Idee für Text, Bild, Szene oder Sound – denn nur mit einer Beschreibung seiner Idee kann man keine Reaktion auf körperlicher Ebene, keine echtes gedankliches Mitwirken bei den anderen hervorrufen. Gob Squads Arbeiten basiert auf Rollenverteilung innerhalb der Gruppe – und genauso wichtig ist, dass die Verteilung nur provisorisch ist, und nicht darauf beharrt wird. Auf egalitärer Ebene werden Skills ausgetauscht (das sogenannte skill sharing auf Englisch) – und dabei geht es nicht darum, wer welche Expertise und damit verbundene ‘Berechtigung’ hat.

EINE KOLLAGIERTE TIMELINE, MIT MATERIALIEN ALLER TEILNEHMENDEN DES NEXT CHOREOGRAPHY KURSES. PHOTO: GORM ASHURST.

Eine Kollaborationsmethodik von Gob Squad, die wir zum Beispiel auch im Jugendensemble mit Georg angewendet haben, ist das Kollagieren – das Gegenüberstellen, Überlappen und Vermengen von Material verschiedener Herkünfte; das wird vor allem bei performativer Kunst spannend, wenn simultan mehrere Informationen gegeben werden und einander widersprechen, verstärken oder scheinbar nicht berühren.
An den Schnittstellen entsteht dann dieses Mehr (-als-die-Summe-seiner-Teile-sein).

In ein kollaboratives Projekt gehen also alle Mitwirkenden gleichberechtigt – und nicht mit einer vorgefertigten Idee eines Ergebnisses, sondern grundlegend mit einer Bereitschaft. Das klingt simpel, ist aber tatsächlich der Kern und damit das Schwierigste an dieser Arbeit: demokratisch und enthierarchisiert, geht es bei dem Prozess um geteilte Erfahrung. Das habe ich in seiner reinsten Form vor allem im Training des Ensembles Divadlo D’EPOG erlebt, bei welchem Kontaktaufnahme (über Aufmerksamkeit, Zuwendung) mit den Mitspieler*innen und der körperliche Ausdruck der Kern der Arbeit sind. Das ist auch Wiebke Dröges Impuls und Anliegen in ihrer Arbeit – es geht ihr um das (gemeinsame) Forschen als performativen Kontext. Der Eintrag unter Collaborative im online Glossary of art terms des Tate Museums greift diese Einstellung auf, wenn es da heißt: the process of working can be the work itself.

‘SOMMERWORKSHOP #4’ MIT THEATERMACHERN DIVADLO D’EPOG UND DRAMATURGIN SODJA LOTKER. 2017. PHOTO: VÀCLAV MACH.

Diese Art des Arbeitens ist verbunden mit einer politischen Einstellung; sich für diese Art der Arbeit zu entscheiden, ist oder kann eine politische Entscheidung sein. In geteilter Autorenschaft muss gleichzeitig Verantwortung für das Potenzial des eigenen Inputs übernommen werden, aber das individuelle Ego wird weniger wichtig; man nimmt mehr Anteil an der Arbeit, und gibt gleichzeitig ein individuelles Besitzrecht auf. In den Worten von Lucia Repašská, Regisseurin des Divadlo D’EPOG in Brünn, heißt das: listening is more important than talking, reaction is more important than action.

Was braucht es für ein Umfeld, damit Kollaboration gelingt? Es braucht ein grundlegendes Vertrauen der Mitglieder einer Gruppe zueinander – das aufzubauen, ist eine zeitliche Investition. An dieser Stelle fehlte es in am Central Saint Martins an Bereitschaft – sich für etwas die angemessene Zeit zu nehmen, ist in einem kapitalistischen System, in dem Zeit Geld bedeutet (es müssen schließlich Leute und Räumlichkeiten bezahlt werden), nicht vorgesehen; es soll vielmehr gelernt werden, mit wenig Zeit viel Fortschritt zu machen. Das wurde mir so verkauft, als wäre das notwendigerweise so, und auch im ‘realen’ Berufsleben der Fall – eine kurzsichtige, die mögliche Einschränkung vorwegnehmende Einstellung. Entschleunigung zu lernen, und richtig umsetzen, organisieren zu lernen, ist in einer hektischen Arbeitswelt möglicherweise wertvoller, als das Verstärken und Weiterführen des fehlerhaften Systems. Ich glaube fest daran, dass vor allem Performance und Theater, wenn es einen bleibende Wirkung haben soll, Zeit braucht.

(LAWRENCE WEINER)

Daher kann man den Kollaborationsprozess und -ansatz, das Lernen voneinander und das Vertrauen auf die kollektive Schaffenskraft, auch als eine Art ‘slow learning’ bezeichnen. Dass dabei die Gruppe offen bleibt für die Außenwelt, und potenzielle Zuschauer als Kollaborateure mitnimmt – also ohne Isoliertheit arbeitet, aber auch nicht mit pseudo-demokratischen Strukturen – finde ich ganz wichtig, und manchmal schwierig umzusetzen. Ich interessiere mich sehr dafür, wie man open structures  mimetic frameworks – in Performance kreieren kann – wie man mit Interpretationsfreiheit, dem organischen Hervortreten von Sinn und Bedeutung für den Zuschauer arbeiten kann, statt rigide Symbolik festzulegen. Um das zu erforschen, ist kollaboratives Arbeiten gefragt; ich bin gespannt darauf, wie ich meine Arbeit weiter als aufbauend auf Austausch gestalten kann – zum Beispiel in der Form von Workshops und work-in-progress sharing Events, die ich in der Vergangenheit schon geleitet oder organisiert habe. Die Enthierarchisierung und das kompromisslose Präsentsein sind für mich die radikalen Aspekte dieser Arbeit, und die werde ich dabei immer wieder neu verhandeln müssen, denke ich – selbst in diesen schon sehr offenen Formaten.


Katharina Joy Book arbeitet choreografisch mit Bewegung und Text; hat einen Bachelor in Performance Design and Practice; und ist hier zu finden und zu verfolgen: @katharina.joy

Ein kürzlich erschienenes Interview, in welchem mehr über ihre Arbeitsweise zu erfahren ist, findet man hier: https://thecontentjournal.com/a-conversation-with-katharina-joy.


¹http://www.tate.org.uk/learn/online-resources/glossary/c/collaborative

²‘Over the last three decades art-theorists and critics have begun to pay more attention to both collaborative teams and collaboration as subjects of enquiry. Around the time this study formally began in 2003, ‘collaboration’ emerged at the forefront of artistic trends and debates: In 2003, the Chapman Brothers were nominated for the Turner Prize as a collaborative team; in 2004 Third Text dedicated an entire issue to artistic collaboration and Tate Modern commissioned a workshop, Working Together, that both practically and theoretically explored collaboration in art.’

³http://eoagh.com/?p=397

http://artbistro.monster.com/benefits/articles/12120-the-art-of-good-collaboration

We encourage collision and exchange across boundaries, producing unexpected and hybrid results.

http://www.ohnepunkt.info/Ohnepunkt/Wiebke_Droge.html

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