Endstation Marl?

Nachlese: Angelockt von einem Bericht in der Kunstzeitung „Art“ und der Empfehlung einer Kunstinteressierten in Münster beschlossen wir, unseren Skulptur Projekte-Ausflug in Marl zu beenden und es erwarteten uns Highlights besonderer Art.

The hot wire, „der heiße Draht“ meint die Kooperation von Münster und Marl zur diesjährigen Skulptur Projekte in Münster. „Zwei Orte, die Parallelen haben, aber auch Unterschiede in der Stadtentwicklung“, erklärte Georg Elben, Direktor des Skupturenmuseums Glaskasten Marl. Die Gegensätze sind offensichtlich: Während Münster ein vorhandenes Stadtbild bewahrte, ist Marl auf dem Reißbrett entstanden. In den sechziger und siebziger Jahren, als das Geld aus dem Kohleabbau den Bau einer visionäre Stadtmitte aus Beton ermöglichte (Architekturrichtung: Brutalismus), die jedoch schon sehr bald planerische und bauliche Mängel aufwies und ab 2018 für 40 Millionen Euro saniert werden soll, nachdem die jahrelange Diskussion über Abriß oder Sanierung zugunsten des Erhalts getroffen wurde. Link zum Thema „Brutalismus“
http://www.rottenplaces.de/main/20-atemberaubende-bauten-des-brutalismus-22818/

Der „Höhepunkt“ erwartet uns gleich zu Beginn. Star-Künstler Thomas Schütte hat passend zur legendären Kirschensäule in Münster eine Melonensäule für Marl geschaffen. Auf einem öden Parkplatz, weil der Künstler es sich so wünschte. Aber was tut der Künstler mit dieser Arbeit anderes, als sich selbst zu zitieren?

Das Skulpturenmuseum Glaskasten Marl ist erst einmal schlichtweg unauffindbar. So etwas wie ein Hinweisschild? Fehlanzeige. Das einzige Schild, was wir finden, führt zum Einkaufszentrum, wo an diesem Samstagnachmittag gefühlt ganz Marl seine Zeit verbringt. Dort stoßen wir dann auch mehr oder weniger per Zufall auf das Museum, was sich unter dem Sitzungssaal des Marler Rathauses befindet. Les fleurs du mal, ist das Programm? Dazu später mehr. Die Grundidee eines „Glaskastens“ ist ja charmant. Außen- und Innenraum sind aufgehoben bzw. durchdringen sich gegenseitig und das können wir hier auch erfahren. Während wir das Museum besuchen, in das sich außer uns nur zwei weitere Besucher*innen verirrt haben, befinden sich auf der anderen Seite Jugendliche, die ihre eigene Form von Kultur pflegen, Board fahren, laut Musik hören, flirten, chillen. Ein Mädchen mit Hund. Wir betrachten die Jugendlichen draußen interessierter als die Skulpturen im Museum und bemühen uns, dabei nicht bemerkt zu werden.

Das Museum Glaskasten muss übrigens dem „Sozialen Rathaus“ weichen und in die nahe gelegene ehemalige Schule an der Kampstraße umziehen. Darauf nimmt Joëlle Tuerlinckx Bezug, indem sie jeden Morgen um 10 Uhr eine Kreidelinie zwischen dem Museum und der Schule an der Kampstraße neu ziehen lässt, außer bei Regen, wie der zuständige Museumstechniker freimütig erklärt.

Das Skulpturenmuseum gibt mit seiner Sammlung einen Überblick über die Entwicklung der Skulptur im 20. Jahrhundert. Während die Kleinskulpturen in den Räumen des Museums ausgestellt sind, werden ca. 70 Großplastiken im Nahbereich im öffentlichen Räum präsentiert aber auch an verschiedenen Stellen im gesamten Stadtgebiet.

Zwangsläufig beschleicht uns ein Gefühl von Tristesse, der weitläufige Platz vor dem Museum mit einem Brunnen, aus dem kein Wasser kommt, vereinzelte Radfahrer, die den Platz kreuzen und eben die Jugendgang, die sich offenbar von einem Museumsbetrieb überhaupt nicht stören lässt, aber auch keinerlei Interesse erkennen lässt, an den Skulpturen, die sich durch den die großen Glasflächen so gerne zugänglich machen möchten.

Wie sich das Kaspar König wohl vorgestellt hat. Münster wirkt wie der stolze Schwan und Marl doch eher wie das häßliche Entlein. Die Bewohner*innen der Stadt scheinen völlig unbeeindruckt von der Idee der Kooperation zwischen Münster und Marl. Es wirkt so, als würde man hier notgedrungen mit der Kunst leben, aber sie nicht als Teil der eigenen Lebenswirklichkeit begreifen. 

Dennoch gibt es hier den umtriebigen Direktor Georg Elben, der sich immer wieder darum bemüht, zeitgenössische Kunst nach Marl zu holen. Eines der aufmerksamkeitsstärksten Projekte war 2014 „Les Fleurs du ma(r)l“
https://kunstgebiet.ruhr/kunstform/lichtkunst/les-fleurs-du-mal-blumen-fuer-marl/

Eine Arbeit des Lichtinstallations-Künstlers Mischa Kuball, die zum Mitmachen einlädt mit einer leeren Blumenvase aus Beton, in die Bewohner*innen der Stadt in einem partizipativen Moment Blumen stellen können (wird besonders gern von frisch Vermählten auf dem Rückweg vom Standesamt genutzt).

Und dann: Im Internet findet sich eine außergewöhnliche Kunst-Tradition, die sich in Marl etabliert hat: Die Sache mit den zwei Kunst-Kühen. Es handelt sich um zwei bunte Polyester-Kühe, denen der Künstler Samuel Buri die Namen „Dorothée und Niggel“ gab und die im Jahr 1978 ihre Heimat auf der Insel im City-See von Marl fanden. Sogar aus der Schweiz erhielt Georg Elben (Direktor des Skulpturenmuseums Glaskasten Marl) schon Anfragen, was der Marler Almauftrieb ist. Das schräge Spektakel mit Jazz, Alphornbläsern und dem Kiepenkerl läutet die Außensaison ein. Dann kommen Samuel Buris bunte Kühe wieder auf die Insel im City-See. Jedes Frühjahr aufs neue werden sie aus ihrem Winterquartier im Rathaus Marl in ihr Sommerquartier getrieben (oder doch eher gefahren), unterstützt vom THW (Technischen Hilfswerk). Im untenstehenden Video kann man verfolgen, wie sie mit einem Ständchen und Frühlingsliedern der Klassen 3a und 3b der Aloysiusschule aus dem Rathaus verabschiedet werden. Kultig!

Informationen zum Nachlesen:

http://www.lokalkompass.de/marl/kultur/almauftrieb-2017-in-marl-mit-den-buri-kuehen-des-skulpturenmuseum-glaskasten-d752283.html

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